Hoechst´er Diabetes Dialog 2023 - Herausforderungen in der Diabetes-Therapie
Updates in der Therapie vonTyp-1- und Typ-2-Diabetes mellitus
Diabetes und Reisen
Dr. med. Jens Kröger, Hamburg
Wenn einer eine Reise tut – dann ist bei Diabetespatient: innen immer ein bisschen mehr zu erzählen. Vieles, was auch im Alltag mit der Erkrankung zu Hause wichtig ist, kann unterwegs eine neue Herausforderung sein: Essen, Bewegung, das Beherrschen der Diabetestechnik, die richtige Insulindosis. Dr. med. Jens Kröger bietet einen kompakten Reiseführer.
So vielfältig wie die Diabetestherapie generell sind auch die möglichen Themen in Vorbereitung auf eine Reise für Menschen mit Diabetes. Die Beratung zu Reisen bei Diabetes ist daher individuell auf das konkrete Krankheitsbild des Patienten und die Reise abzustimmen. Dr. med. Jens Kröger erläutert in seinem Vortrag ausführlich die Punkte, die für die Reiseanalyse eine Rolle spielen können: Jetlag, das weite Thema Essen (auch der exotischen Art) und des Zugangs zu bekannten oder gut einschätzbaren Lebensmitteln, das zu erwartende Bewegungs- und Aktivitätsniveau während der Reise und allgemein der im Urlaub vielleicht veränderte Tagesablauf, die Infrastruktur des Gastlandes, Infektionsrisiken und Impfungen. Er betont, wie wichtig und hilfreich es angesichts dieser Herausforderungen ist, dass die Patienten an einer strukturierten Schulung teilgenommen haben, um Situationen auf einer Reise besser gewachsen zu sein.
Krögers Vortrag ist voll von praktischen Tipps, sei es zu Fallstricken bei Auslandskrankenversicherungen, zum Einsatz von Insulinpumpe und CGM am Strand, zu Therapieanpassungen bei Erbrechen und Durchfall oder zur Adjustierung der Insulintherapie bei Zeitumstellung, um möglichst schnell ohne viel nachzudenken wieder im gewohnten Rhythmus zu sein. Kröger nennt zahlreiche konkrete Ratschläge, was bei Medikation und Diabetesausstattung wichtig für die Reise sein kann, zum Beispiel würden U100-Spritzen als Ersatz für Pen oder Pumpe Sinn machen. Wie ist das eigentlich mit dem Insulin im Flugzeug? Kröger stellt den von der Firma Ascensia erstellten deutschsprachigen Überblick über Diabetesinformationen von Fluggesellschaften vor. Eindringlich weist er darauf hin, auch an Acetonteststreifen im Reisegepäck zu denken, um bei einer vermuteten Entgleisung Ketonkörper messen zu können.
Natürlich helfen heute auch die Möglichkeiten der Telemedizin Menschen mit Diabetes auf Reisen. Grundsätzlich ist eine stabile Stoffwechsellage vorteilhaft für Reisepläne. Kröger berichtet aber auch von einigen Patient: innen, bei denen nur Tage vor einem Urlaub Typ-1-Diabetes frisch diagnostiziert wurde – und die unbedingt diesen lange geplanten Urlaub antreten wollten. Auch dies habe er ermöglicht – mit telefonischer Betreuung aus dem regnerischen Hamburg an den Pool des Urlaubslandes…
Pumpentherapie/ICT in der Transitionsphase
PD Dr. med. Thomas Kapellen, Bad Kösen (Median Kinderklinik am Nikolausholz; Universität Leipzig)
Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen ist bei Menschen mit Diabetes gleich aus zwei Gründen eine Herausforderung: Die Adoleszenz macht auf mehreren Ebenen die sowie schon fordernde Diabetestherapie komplizierter, der HbA1c steigt oft an. Und mit 18 steht dann auch noch der Wechsel von der Pädiatrie in die Erwachsenendiabetologie an. Kann hier moderne Technik helfen?
Es gibt viele Faktoren, die das Diabetesmanagement in der Adoleszenz komplizierter machen können: Die erschwerte Stoffwechseleinstellung durch Änderungen der Insulinsensitivität, aber auch psychische und soziale Neuerungen wie die Abneigung gegen einengende Therapieregime oder erhöhte Risikobereitschaft und Experimentierfreudigkeit. Auch anhand von zwei Fallbeispielen verdeutlicht PD Dr. med. Thomas Kapellen die ganze Bandbreite der Therapie bei jugendlichen Patienten in der Transition von der Kinder- in die Erwachsenendiabetologie.
Der mittlere HbA1c zeigt in Registern in der Altersgruppe von 15 bis 20 Jahren ein deutliches Maximum. Das bleibt, wie Kapellen in seinem Vortrag darstellt, nicht ohne Folgen, das Risiko einer diabetischen Ketoazidose sei zum Beispiel bei Jugendlichen ebenfalls erhöht, wie er anhand von internationalen Daten zeigt. Doch auch konkret ist die Transition laut DPV-Daten mit höherem HbA1c, mehr schweren Hypoglykämien und mehr Ketoazidosen assoziiert. Ebenso ernstzunehmend sind die zahlreichen Belege eines höheren Risikos für psychiatrische Komorbiditäten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Diabetes wie generalisierte Angststörungen, Essstörungen und depressive Symptome, die Kapellen erwähnte. Psychiatrische Komorbiditäten um die Transition herum seien wiederum mit ungünstigen klinischen Diabetes-Endpunkten assoziiert, zeigte er anhand aktueller Daten und plädierte für ein entsprechendes Screening.
Gerade bei Jugendlichen kann also eine weitere technische Unterstützung durch Systeme der automatischen Insulindosierung oder auch Smart Pens hilfreich sein. Kapellen gibt praktische Tipps für einen erfolgreichen Start in die AID-Therapie und einen Überblick über die auf dem deutschen Markt zu findenden AID-Systeme inklusive der in Studien beobachteten Effekte auf die TIR. Auch wenn in Studien bei schlecht eingestellten Jugendlichen die in Leitlinien empfohlenen 70 % Time in Range nicht erreicht würden, seien die Ergebnisse mit solchen Systemen wesentlich besser als ohne, betont er.
Kapellen geht nicht nur auf die Vorteile der Technik ein, sondern auch auf die Last, die sie für Patienten sein kann, Stichwort Alarm- oder Kalibrations-Burnout. Die Transition bleibe generell auch mit Pumpe und CGM eine Herausforderung, Kapellen weist hier auf die in Zusammenarbeit mit Sanofi erstellte Informationsbroschüre „Zukunft mit Diabetes bahnen“ für Diabetesteams zur professionellen Begleitung der Transition hin. Vom Führerschein bis hin zu einer Tabelle, die die Wirkung verschiedener Drogen auf den Blutzucker auflistet, biete diese Broschüre viele Hilfen, um Jugendliche auf die Transition vorbereiten.
Diabetes und mikrovaskuläre Komplikationen: Diabetische Retinopathie
Prof. MUDr. Matus Rehak, Ph.D., Gießen
Wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Diabetologe und Augenarzt ist, veranschaulicht Prof. Matus Rehak. Sehbeeinträchtigungen sind oft die größte Sorge der Diabetespatienten und eine gute Blutzuckereinstellung hilft diese zu vermeiden. Doch liegt erst eine Retinopathie vor, ist der Effekt der Glykämie-Einstellung dahin, auch auf die Erfolgschancen der anti-VEGF-Therapie hat sie keinen Einfluss.
Prof. MUDr. Matus Rehak schildert die Grundlagen der von Patienten am meisten gefürchteten Komplikation bei Diabetes: Sehbeeinträchtigungen. Er erklärt Makulaödem und Neovaskularisationen sowie die zur Diagnostik wichtigen Untersuchungen des Augenhintergrunds zum Beispiel mit Fluoreszenzangiografie und optischer Kohärenztomographie. Er erläutert auch, welche Rolle der Faktor Zeit bei der Entwicklung der diabetischen Retinopathie bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes spielt.
Studien belegen einen signifikanten Einfluss von Diabeteseinstellung und –Dauer sowie des Geschlechts, viszeralen Fetts, der arteriellen Hypertonie und von renalen Parametern auf die Entwicklung der diabetischen Retinopathie, beim Lipidstatus gebe es hier eine uneindeutige Datenlage. Hat sich dagegen die Retinopathie bereits entwickelt, spiele der Einfluss des Blutzuckers für den weiteren Verlauf wahrscheinlich keine so starke Rolle mehr, mahnt Rehak.
Bei diabetischem Makulaödem empfehlen die Fachgesellschaften die initiale Behandlung mit sechs anti-VEGF-Injektionen. HbA1c-Wert, Blutdruck, Nierenfunktion und Lipidstatus hatten in post-hoc-Analysen der Zulassungsstudien der VEGF-Inhibitoren keinen Einfluss auf die Visusergebnisse in Monat 6. In der Lipsia-Studie dagegen fanden sich bei Patienten mit normaler GFR ≥ 90 ml/min/1,73 m² deutlich signifikant bessere Visusergebnisse in Monat 6 vergleichen mit Patienten mit reduzierter GFR. Die Ausgangsparameter seien in dieser Studie durchaus schockierend gewesen, berichtet Rehak, so lag der mittlere systolische Blutdruck bei 159 mmHg – es handele sich um wirklich kranke Patienten.
Detailliert erläutert Rehak das Problem der suboptimalen Response auf anti-VEGF-Therapie. Diese könne man bereits früh nach drei Monaten sehen; 68,6 % der Low-Responder zeigten auch nach einem Jahr keine morphologische oder funktionelle Verbesserung. Selbst mit künstlicher Intelligenz zur Analyse der bildgebenden Verfahren komme man derzeit nur auf einen prädikativen Wert von maximal 70 % für den Erfolg dieser Therapie. Rehak stellt Grundlagenforschung vor, nach der VEGF Stress bei Endothelzellen eine dauerhafte Veränderung der retinalen Barriereintegrität auslöst, die nicht mehr vollständig mit anti-VEGF-Therapie rückgängig gemacht werden kann. Das verdeutlicht die Bedeutung einer frühen Diagnose der diabetischen Retinopathie, wie er eindrücklich darlegt. Ein sogenannter Early Switch auf Steroide bei Nichtansprechen auf anti-VEGF kann deutliche visuelle und anatomische Verbesserungen bringen, wie Rehak belegt.
Diabetische Neuropathie – Diabetischer Fuß
PD Dr. med. Ovidiu Alin Stirban, Birkenwerder
Die Neuropathie steht nicht als Spätkomplikation des Diabetes am Ende der Krankheitsgeschichte, sondern sie ist als ein Mitauslöser neuro-vaskulärer Diabeteskomplikationen zum Beispiel an Auge und Niere von grundlegender Bedeutung für die Pathophysiologie. PD Dr. med. Ovidiu Alin Stirban erläutert die Zusammenhänge und die Qual der Wahl bei der Therapie der Polyneuropathie.
Die diabetische sensorische Polyneuropathie (DSPN) ist keine Spätkomplikation, mahnt PD Dr. med. Ovidiu Alin Stirban in seinem Vortrag, sie komme auch bei vielen Patienten mit einem frisch entdeckten Diabetes vor. Klinisch beginne sie zwar in der Peripherie, involviere aber frühzeitig auch das zentrale Nervensystem. Er erläutert eingehend, warum Diabeteskomplikationen zum Beispiel am Auge und an der Niere eher „neuro-vaskuläre“ als rein vaskuläre Komplikationen seien.
Klinisch – und auch von der Pathogenese - unterscheide sich die DSPN bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes: Bei Typ 2 treten vermehrt schmerzhafte Symptome auf, man finde insbesondere eine Dysfunktion der dünnen, nichtmyelinisierten Nervenfasern, bei Typ-1-Diabetes finde man mehr nicht-schmerzhafte Symptome wie Taubheit sowie Zeichen einer Dysfunktion der großen, myelinisierten Nervenfasern mit vermindertem Vibrationsempfinden und Reflexen. Es gebe hier auch einen hohen Prozentsatz an subklinischer Polyneuropathie, insbesondere bei jungen Patienten.
Stirban erläutert die Auswirkung der autonomen Neuropathie auf den mikrovaskulären Blutfluss sowie ihre Auswirkung am Herzen. Auch auf die Entstehung des diabetischen Fußsyndroms als bedeutendster Komplikation bei Patienten mit Neuropathie geht er ein.
Zur Therapie der DSPN erläutert Stirban ein Konsensuspapier, das eine internationale Autorengruppe unter seiner Beteiligung 2021 dazu publiziert hat. Sie erfolge symptombezogen, bei asymptomatischen und symptomatischen, aber nicht schmerzhaften Fällen sei Alpha-Liponsäure eine Möglichkeit, bei letzteren auch Benfotiamin – aber nicht bei allen Patienten. Bei schmerzhafter Polyneuropathie argumentiert er wegen der schlechten Datenlage und der Nebenwirkungen gegen die Verwendung von Amitriptylin. Bei den Antikonvulsiva sei es extrem wichtig, Geduld zu haben, eine Studie zeigt, dass es bei Pregabalin 36 Tage dauert, bis man bei den meisten Patienten eine 50-prozentige Reduzierung des Schmerzes erreicht hat. Die Hochtitration müsse sehr vorsichtig und über längere Zeit stattfinden; der therapeutisch wirksame Bereich liege für Pregabalin bei 300 bis 600 mg und bei Gabapentin bei 1800 bis 3600 mg pro Tag. Die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme Hemmer Duloxetin und Venlafaxin seien sehr wirksam, insbesondere bei Patienten, die auch Schlafstörungen haben und eine Depression aufweisen. Auch die Daten der Option-DM-Studie zur Kombinationstherapie bei polyneuropathischen Schmerzen erläutert er; selbst mit einer dualen Therapie konnten hier nur 54 % der Patienten eine 50-prozentige Schmerzreduktion erreichen. Capsaicin-Pflaster seien eine weitere, wenn auch teure Option, vor allem für Patienten mit lokalen Schmerzen.
Titration von Insulin beim T2D – Zielwerte, wie und warum?
Dr. med. Jörg Lüdemann, Falkensee
Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes kann und sollte einfach sein. Die physiologischen Hintergründe der anzustrebenden Zielwerte erläutert Dr. med. Jörg Lüdemann in seinem Vortrag ebenso wie die zahlreichen Therapieregime, um sie zu erreichen. Vor allem legt er da, warum die Unterschiede oft nur minimal sind und worauf es in der Praxis ankommt, damit Patienten gut mit Insulin klarkommen.
Die ärztliche Kunst besteht darin, eine gute Stoffwechseleinstellung mit möglichst wenig Aufwand zu erreichen, nicht in der Vermittlung möglichst komplexer Behandlungen. Aus den Grundlagen der Physiologie bei Typ-2-Diabetes leitet Dr. med. Jörg Lüdemann klar ab, warum die Insulintherapie in der Praxis einfach und gut sein sollte statt kompliziert. Er stellt die verschiedenen Basal- und Mahlzeiteninsuline und klinischen Studien dazu vor. Weiterhin diskutiert er die vielfältigen Einflussfaktoren auf das HbA1c-Therapieziel, insbesondere bei älteren Patienten mit Typ-2-Diabetes.
Lüdemann führt als zentrale Frage aus, ob die Bauchspeicheldrüse überhaupt noch die Möglichkeit hat, auf einen Blutzuckeranstieg bei Mahlzeiten zu reagieren. Die Glukoseproduktion in der Leber, die Insulinempfindlichkeit des Muskels und beide Phasen der Insulinausschüttung sind bei hohen Blutzuckerwerten so verändert, dass sie zu Hindernissen einer guten Stoffwechsellage werden. Ein entsprechend eingestellter Nüchternblutzucker ermögliche bei Typ-2-Diabetes eine Art Reset der Betazellfunktion, die Insulinproduktion wird wieder allein reguliert und zum Beispiel auch das Risiko für Unterzuckerungen minimiert. Er führt aus, wie dieses Vorgehen eine komplexe Insulintherapie ersetzen kann, was für Patienten wie auch behandelnde (Haus)Ärzte eine einfacher umsetzbare Therapie ermöglicht.
Lüdemann geht auch auf weitere durch die Evidenzlage zu rechtfertigenden Vereinfachungen der Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes ein: Kohlenhydratzählen und BE-Faktoren seien oft nicht nötig, eine Titration auf postprandiale Werte sei ohne wesentlichen Nutzen gegenüber der Titration auf den nächsten Nüchternblutzuckerwert. Die Insulinwirkung hängt immer auch von der Insulindosis ab, erinnert er, je höher es dosieren wird, desto länger wirkt Insulin.
Lüdemann bietet auf diesen Grundlagen klare, wenn auch vielleicht kontroverse Richtschnüre für die Praxis der Insulintherapie: Das basale Insulin ist dann richtig dosiert, wenn der Nüchternblutzucker in dem Bereich um 5 mmol/l bzw. bei 80 bis 95 mg/dl liegt, das Mahlzeiteninsulin ist dann richtig dosiert, wenn der Nüchternblutzucker vor der nächsten Mahlzeit genauso hoch ist wie vor der letzten Mahlzeit, zu der das Insulin gespritzt wurde.
Er erklärt Vorteile und auch Grenzen moderner Basal- und Mahlzeiteninsuline. Bei einem so unpräzisen Insulin wie NPH müsse man zum Beispiel die Zielwerte hochsetzen, weil die Wirkung nicht genau einzuschätzen ist. Ein präzises Insulin dagegen erlaube, pathophysiologisch begründete Zielwerte zu erreichen. Er erläutert auch klar, warum die Erstattungslage schon längst kein Argument mehr gegen Basalinsulinanaloga ist.
Diabetestherapie und Pflegebedürftigkeit – was tun?
Diabetesberaterin und Diätassistentin Helga Varlemann, Hamburg
Wenn Menschen mit Diabetes pflegebedürftig werden, eröffnen sich viele neue Fragen und Herausforderungen. Die Diabetesberaterin Helga Varlemann schildert aus der Praxis, wie wichtig Kommunikation und Dialog zwischen Diabetesteams und Pflegekräften ist und worauf bei der Insulintherapie bei diesen Patienten zu achten ist.
Die Diabetesberaterin Helga Varlemann beschreibt den Weg von Patienten mit Diabetes in die Pflegebedürftigkeit und die Konsequenzen für die Diabetestherapie und ihre Ziele. Das Vorstandsmitglied der AG Geriatrie der DDG charakterisiert das Patientenklientel und schildert, wie die Behandlung bei pflegebedürftigen Menschen je nach Setting umgesetzt werden kann.
Als wichtig für Arzt und Diabetesteam nennt Varlemann die Kommunikation mit den ambulanten Pflegediensten und Pflegekräften in stationären Einrichtungen. Dies dient der Einschätzung der Situation und des Risikos, aber auch und vor allem der Umsetzung einer Insulintherapie unter den oft herausfordernden Umständen in der Pflege. Sie zeigt anschaulich die Herausforderungen bei der Übermittlung der Dokumentationen der Insulintherapie an das Behandlungsteam. Fehlende Informationen, dazu gehört auch der Insulin-Injektionsort, erschweren das Diabetesmanagement, doch auch andersherum erinnert Varlemann daran, dass ärztliche Anweisungen für die Pflegekräfte, die sie umsetzen müssen, klar kommuniziert sein müssen. Die Unterschiede bei der Umsetzung einer Insulintherapie bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes seien Pflegekräften beispielsweise nicht unbedingt immer klar, gibt sie zu bedenken. Sie hebt auch hervor, dass die Blutglukosekontrolle durch die Pflegekräfte die Basis für die Umsetzung und Bewertung der Diabetestherapie durch das Diabetesteam ist. Schulung des Personals und in den Dialog zu treten sei im Pflegesetting sehr wichtig. Insulindosispläne für Pflegekräfte plädiert sie so einfach und klar wie möglich zu halten.
Für die Insulintherapie bedeutet Pflegebedürftigkeit, klar den Blick auf die Lebensqualität zu richten, wie es auch die Leitlinie Diabetes im Alter der DDG fordert. Hypoglykämien insbesondere in der Nacht, aber auch Lipodystrophien und Akutkomplikationen sollten verhindert werden. Gleichzeitig beschreibt Varlemann als Maßstab, die Therapie so einfach wie möglich zu halten, was sich auch auf die Frage Mischinsulin oder Therapie mit Basal- und Bolus-Insulin auswirkt. Sie hebt auch hervor, dass insbesondere bei Therapien mit Mahlzeiteninsulin die Nahrungsaufnahme gewährleistet sein muss.
Die Diabetesberaterin stellt zwei Fallbeispiele zum Thema vor: Eine 81-jährige Patientin mit Typ-1-Diabetes und großen, unerklärlichen Blutzuckerschwankungen und einen 80-jährigen Patienten mit Typ-2-Diabetes und ungewolltem massivem Gewichtsverlust.
Digitalisierung und Diabetes
Prof. Dr. Peter Schwarz, Dresden
Nach diesem Vortrag von Prof. Dr. Peter Schwarz mag man seinem Appell, sich testweise einmal auf eine DiGA einzulassen, gerne folgen. Das sehr informative Plädoyer für den Einsatz dieser besonderen Apps in der Diabetologie gibt eine Übersicht über die derzeitigen und demnächst zu erwartenden DiGAs und begründet die zum Teil beeindruckenden Erfolge.
DiGAs sind der neueste und oft noch nicht sehr wohlgelittene Sektor der medizinischen Versorgung. Ein sehr informatives Plädoyer für DiGAs in der Diabetologie liefert Prof. Dr. Peter Schwarz. Er geht auf die Argumente der Skeptiker – hohe Kosten, mangelndes Patienteninteresse, kein Vergleich zum Arztgespräch - fundiert ein. Schwarz sieht in den Softwarelösungen eine Chance, so nah am Patienten zu sein wie noch nie. Er schildert sie als ideale Ergänzung zum Arztgespräch einmal im Vierteljahr. Der App-Ansatz adressiert genau die Erfolgsfaktoren für eine Lebensstilintervention, wie sie in systematischen Reviews gefunden wurden: Einbindung in den Alltag, Kontakthäufigkeit und soziale Unterstützung seien wichtig.
Der President Elect der IDF vergleicht die HbA1c-Veränderung durch Antidiabetika, Lebensstiländerung und digitale Interventionen und zeigt in einem Review, dass gerade die neueren digitalen Anwendungen einen großen Effekt hatten – Schwarz erklärt das damit, dass sie smartphonebasiert sind und damit „in der Hosentasche der Patient: innen“.
Schwarz erläutert den anspruchsvollen Weg, den DiGAs bis zum Patienteneinsatz zu absolvieren haben und verdeutlicht den Unterschied zu irgendeiner aus dem App-Store heruntergeladenen Software. Auch wie Verschreibung und Vergütung sowie die zum Teil kritisierte Preisfindung ablaufen, schildert er und verweist auf den Paradigmenwechsel, dass es für Patienten auch einen direkten Weg zur DiGA ohne den Arzt gibt; er werde derzeit zu 30 % genutzt. Schwarz erläutert auch die von der DDG geplante Klassifikation der DiGAs.
Der Dresdener Experte gibt eine detaillierte Übersicht über aktuell erhältliche, demnächst zu erwartende und auch bereits abgelehnte DiGAs mit Diabetesbezug: Die Adipositas-Apps Zanadio und Oviva Direkt, die Diabetesmanagement-Apps Esysta, Vitadio, OneTwo Diabetes und mebix Therapiebegleiter, die für die Depressionsbehandlung von Patienten mit Typ-1-oder Typ-2-Diabetes entwickelte App Hello Better, das Bewegungsprogramm Videa mellitus. Die DiGAs Una Health und Glucura nutzen Daten von Glukosesensoren für eine gezielte Ernährungsberatung, OneTwo Diabetes für die Diabetestherapie und die DiGA sinCephalea nutzt Glukosesensordaten sogar zur Migränedetektion und reduziert durch personalisierte Ernährungsmedizin die Anzahl der Migränetage.